Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am 27. Juni 2017 den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg zur Klärung von Fragen angerufen, die die Sekundärmigration von Ausländern betreffen, die bereits als Flüchtling in einem EU-Mitgliedstaat anerkannt worden sind. Insbesondere geht es um die in der Asylverfahrensrichtlinie eröffnete Möglichkeit, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat Flüchtlingsschutz erhalten hat. Bereits im März wurde der EuGH um die Klärung von Fragen in Fällen ersucht, in denen im Auslandsubsidiärer Schutz gewährt worden ist (BVerwG, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 C 17.16 u.a.).
Der Kläger ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Eritreas. Er wurde in Italien als Flüchtling anerkannt und erhielt dort eine bis zum 5. Februar 2015 gültige Aufenthaltserlaubnis sowie einen Reiseausweis mit gleicher Gültigkeit. Im September 2011 reiste er nach Deutschland ein und beantragte hier die Anerkennung als Asylberechtigter. Im Februar 2013 teilte das Italienische Innenministerium der Bundespolizeidirektion seine Bereitschaft zur Rückübernahme des Klägers mit. Mit Bescheid vom Februar 2013 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Die Klage hatte in den Vorinstanzen bezüglich der Drittstaatenentscheidung keinen Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat dies damit begründet, dass dem Kläger kein Asylrecht nach Art. 16a GG zustehe, da er aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei. Die Vermutung der Sicherheit im Drittstaat habe der Kläger nicht entkräftet. Insbesondere liege im Fall der Rückführung nach Italien nicht die Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung vor, die Art. 3 EMRK widersprechen würde. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Nach der Rechtsprechung des 1. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts kann die nach aktueller Rechtslage in § 29 Abs. 1 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) geregelte Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat keine Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid darstellen. Denn sichere Drittstaaten sind in unionsrechtskonformer Auslegung dieser Regelung nur Staaten, die keine EU-Mitgliedstaaten sind.
Damit hängt der Erfolg der Revision davon ab, ob die Entscheidung, kein Asylverfahren durchzuführen, in eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG umgedeutet werden kann. Nach dieser mit Wirkung vom 6. August 2016 geschaffenen Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Für den hier vorliegenden Fall einer ausländischen Flüchtlingsanerkennung ermächtigte bereits Art. 25 Abs. 2 Buchstabe a der EU-Asylverfahrensrichtlinie von 2005 zu einer solchen Regelung.
Der 1. Revisionssenat sieht jedoch Klärungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob eine Unzulässigkeitsentscheidung auch dann getroffen werden darf, wenn die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in dem anderen Mitgliedstaat, der dem Antragsteller bereits internationalen Schutz gewährt hat (hier: Italien), den Anforderungen der Art. 20 ff. der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU nicht genügen, ohne bereits gegen Art. 3 EMRK zu verstoßen. Klärungsbedarf sieht der 1. Revisionssenat auch zu den Rechtsfolgen einer im behördlichen Verfahren unterbliebenen Anhörung, wenn es sich – wie bei der Unzulässigkeitsentscheidung – um eine gebundene Entscheidung handelt. Die Vorlagefragen sind als Anlage beigefügt. Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht das Revisionsverfahren ausgesetzt.
BVerwG 1 C 26.16 – Beschluss vom 27. Juni 2017
Vorinstanzen:
OVG Münster, 13 A 1490/13.A – Urteil vom 19. Mai 2016 –
VG Minden, 10 K 1095/13.A – Urteil vom 15. April 2013 –
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